Kunst aus der Dunkelheit

Drei Wochen Dunkelheit, Stille und Isolation. Diesem Grenzszenario hat sich Axel Neumann 1992 gestellt. Der Entzug äußeren Reize hat eine Flut innerer Bilder ausgelöst, die er seitdem unermüdlich zu Papier bringt. Dafür hat er eine eigene Maltechnik mit Patronenfüller und Acrylfarbe entwickelt.

„In den drei Wochen habe ich gelernt, mir selber zuzuhören,“ sagt Axel Neumann. Er hat sein ganzes Leben darauf ausgerichtet, diese inneren Bilder zu materialisieren. „Die Bilder drücken mich. Sie möchten zu Papier gebracht werden.“ Inzwischen hat er schon über Tausend Werke geschaffen und er ist noch lange nicht fertig mit seiner Aufgabe.

Heutzutage mag ein solches Experiment extrem erscheinen. In der Antike war diese Form der Innenschau oder Meditation jedoch gängige Praxis. Die Menschen taten dies, um Antworten auf wichtige Fragen des Lebens zu erhalten oder um Krankheiten zu heilen. In vielen alten Kulturen bedeutet in die Dunkelheit zu gehen, sehen zu lernen. Die Dunkelheit erweitert unsere Wahrnehmungsgrenzen. Wir hören und fühlen mehr und wenn wir es nur lange genug aushalten, schaffen wir Raum für visuelle Erlebnisse. Moderne neurowissenschaftliche Forschungen bestätigen, dass der Entzug äußerer Reize oft innere Bilder auslöst. Besonders häufig wird die Passage durch einen rotierenden dunklen Raum beschrieben, die in einem strahlenden Licht im Zentrum des Visionsfeldes endet.

Mein Freund Axel ist ein unfassbar begnadeter Künstler. Mich fasziniert an seiner Kunst, dass sie das Ergebnis einer Grenzerfahrung ist. Wer sich drei Wochen in Dunkelheit und Stille einschließt, der wagt einen gefährlichen Ritt auf der Rasierklinge. Axel hat viel riskiert und alles gewonnen. Jetzt sind seine Bilder da und sie sind atemberaubend. Menschlich beeindruckt mich seine enorme Leistungsfähigkeit. Täglich bis zu 18 Stunden am Stück zu malen und das über Jahre hinweg, ist mentale Ausdauer vom Feinsten. Für mich ist Axel ein Extremkünstler, der höchsten Respekt verdient.

Joey Kelly, Extremsportler und Unternehmer, Zeitschrift “Schreibkultur”, 4/2017

Die Erfahrung hatte auch zwei neurologische Folgen: Seitdem kann Axel Neumann Farben nicht nur sehen, sondern auch hören. Und er hat ein außergewöhnliches Erinnerungsvermögen entwickelt. Bis heute hat er die enorme Anzahl von Motiven in seinem Kopf gespeichert. Er kann sie jederzeit wieder abrufen. Diese besondere Fähigkeit lässt sich jedoch nicht auf andere Aufgaben übertragen – zum großen Bedauern des Künstlers.

In den Augen Yulia Ustinovas , einer israelischen Altertumswissenschaftlerin, sind die mit dieser Erfahrung verbundenen Visionen und Empfindungen zeitlos. Sie sieht sie in Axel Neumanns Kunst verkörpert. Frau Ustinova ist die Autorin des Buches „Caves and the Ancient Greek Mind. Descending Underground in the Search for Ultimate Truth“ (Oxford, 2009). Sie schreibt:

„Als ich zum ersten Mal Axel Neumanns Kunst sah und erfuhr, dass der Ursprung dieser Arbeiten in seinem dreiwöchigen Rückzug in absolute Dunkelheit liegt, war ich fassungslos. Ich bin  Altertumswissenschaftlerin und erforsche antike Religionen. Vor rund 12 Jahren begriff ich, dass antike griechische Weise, Seher und Mysten  auf ihrer Suche nach der verborgenen Wahrheit und ekstatischer Erleuchtung, ausgedehnte Isolation in Höhlen und anderen geschlossenen dunklen Räumen praktizierten. In der Antike wurde die sensorische Deprivation (Reizentzug), die an solchen Orten möglich war, als Technik genutzt, um mentale Bilder herbeizurufen.“

Malen mit dem Patronenfüller

Allgemein kennt man den Füller nur als Schreibgerät. Sicher gibt es einige Künstler, die mit dem Füller zeichnen. Aber mit Acrylfarbe damit zu malen, das ist schon etwas Besonderes. Technisch betrachtet, stellen die Pigmente der Acrylfarbe das feine Kapillarsystem des Füllers vor eine ziemliche Herausforderung.

Axel Neumann portraitiert seine Dunkelheitserfahrung mit akribischer Genauigkeit. Ohne Vorzeichnung und mit sorgsamer Geduld reiht er zahllose Striche aneinander, keiner größer als ein bis zwei Millimeter. In monatelangen Malprozessen verbinden sich die zahllosen Striche zu fein verwobenen Strukturen, die den Motiven eine schier greifbare Räumlichkeit verleihen. Die Farben quellen aus rotierenden Strudeln hervor, selbstbewusst drängen sie nach Entfaltung und nehmen das ganze Papier in Besitz. Alles in seinen Motiven wächst, vibriert, pulsiert und lebt, während die Farben aus der Tiefe heraus glühen, als wären die Kunstwerke hinterleuchtet.

Die Farben durchlaufen einen mehrstufigen Mischakt, bevor sie auf den Karton aufgebracht werden. Darum definiert der Künstler seine Arbeit als Malerei und nicht als Zeichnung.

Namen haben seine Bilder nur selten, er will dem Betrachter alle Freiheit der Interpretation lassen.

Wer die Geschichte der Füllermalerei gerne von ihm persönlich erzählt bekommen möchte, der kann dies in zwei Videos tun:

Dieser Link führt sie zu einem wunderbaren Filmportrait von Nino V. Valpiani (6 min.):
https://vimeo.com/397549480
Passwort: 20Pelikan20

Und hier ein live Aufzeichnung des NDRs aus der Sendung „DAS!“. Sie hat zwar schon ein paar Jährchen auf dem Buckel, der Inhalt ist aber faszinierend wie eh und je. Der Film entstand im Vorfeld zur Ausstellung in der Galerie Sichtbar in Hamburg, die seine Schauspielkollegin Cosma Shiva Hagen für ihn ausgerichtet hat.

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